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Bonjour UTAT, Encore une fois


Es ist später Abend und ich schlendere über einen großen Platz in Nordafrika. Mein Blick fällt auf einen Tisch in der Menge, auf dem einzelne Zähne und diverse Gebisse liegen, die ein zahnloser Händler feilbietet. Ich bin umgeben von Schlangenbeschwörern, Gauklern, Händler, die ihre Wundermittel anpreisen. Unzählige Obststände und dampfende Garküchen reihen sich in der Mitte des sagenumwobenen Platzes auf. Alles scheint ein Wirrwarr im Hall der Trommeln und doch geht alles einer täglichen, für uns Europäer, kaum nachvollziehbaren Ordnung nach. Ich bin auf dem Djemaa El Fna. Ich bin in Marrakesch.

Nicht einmal 30 Stunden ist es her seit meinem Finish beim UTAT 105k (Ultra Trail Atlas Toubkal), einem Lauf im Atlasgebirge in Marokko. 

Am Donnerstag, 05.10. hat unser Vogel die Startbahn in Deutschland verlassen mit dem Ziel, 3,5 h später in Marrakesch zu landen. Mit an Bord Mareike, Jenny, Kerstin, Andre, Timo, Stefan, Birger, Stephan, Alexander und sein Bruder Oliver, der für uns schon viele Jahre Ansprechpartner für den UTAT ist. Stephan sitzt rechts neben mir und hat sich, wie ich erfahre, letztes Jahr schon über die 105 Kilometer lange Distanz versucht. Er ist sichtlich nervös und verzichtet auf meine ausführliche Schilderung des Downhills auf der Strecke von vor zwei Jahren. Das Gummi der Reifen quietscht als wir mit der Maschine afrikanischen Boden berühren. Zum dritten Mal bin ich in Folge hier. Dafür das ich nach meinem Gastspiel 2015 auf der 105 Kilometer Strecke gesagt habe: „Einmal ist genug“ muss ich ein wenig schmunzeln. 

Der Bus des Veranstalters bringt uns in das auf 2.600 m ü.M. gelegene Oukaimeden, Marokkos einziges Skigebiet im Winter. Hier ist für die nächsten vier Tage unser Basiscamp, Dreh- und Angelpunkt für Läufer aus der ganzen Welt, die auf verschiedenen Distanzen an den Start gehen. Als ich die Stufen des CAF’s betrete, fühle ich mich heimisch, ich sehe bekannte Gesichter. Alles wirkt wie ein großes Familientreffen. Auf Familientreffen gibt es oft dicke Luft, hier ganz bestimmt nicht. Hier auf 2.600 m ü.M. ist sie dünn.

Der Freitag läuft gemütlich ab. Eine kleine Wanderung auf einen Hügel, auf dem zwei marokkanische Flaggen den letzten Kilometer der 26 und 105 Kilometer einläuten. Wir machen ein paar Fotos. Das Wetter ist sonnig mit angenehmen 18° C und windig.

Am Nachmittag erfolgt die Kontrolle der Plichtausrüstung und damit die Ausgabe der Startnummern. Ein wenig Smalltalk hier, ein kleiner Lauf zur Beruhigung, da man von Akklimatisierung in so kurzer Zeit kaum sprechen kann. Dieser Lauf einen Tag vor dem Start hilft mir ganz gut, mich einzustimmen. Im letzten Jahr vor der Challenge habe ich das ebenfalls gemacht. Auf dieser Höhe fühlt sich eine 6:20er Pace wie eine 4:30er bei einem 10 Kilometer Wettkampf an aber das Gefühl kenne ich, man gewöhnt sich daran.

Am Abend vor dem Rennen sitzen wir bei einem Bier oder Rotwein zusammen, keiner wird lange aufbleiben, zu kurz ist die Nacht, zu anstrengend der Ultralauf.

Samstag, es sind noch 3 Minuten bis zum Start um 6:00 Uhr. Es ist noch dunkel und kalt. Ich lasse meinen Blick in die Runde schweifen. Ich blicke in freudige Gesichter aber ich sehe auch Unsicherheit und Respekt. Ich fühle mich gut. Neben mir steht Mareike, sie wird das erste Mal auf so eine autonome Strecke gehen. Sie hat dieses Jahr schon den ZUT und den CCC mit Bravur gemeistert aber der UTAT ist etwas Anderes. Die Autonomie über eine lange Zeit und die Streckenführung mit mehreren Pässen über 3.000 m ü.M. und das Gelände machen ihn sicherlich zu einem der schönstem aber auch schwierigsten Läufe über 105 Kilometer. Ich beruhige sie: „Das Ding schaffst du.“ 

Ich stehe zum dritten Mal hier und kann kaum erwarten das wir auf eine weitere Ultrareise geschickt werden.

Die ersten 11 Kilometer geht es ständig nach oben, dem Sonnenaufgang entgegen. Um mich herum schnaufen und husten. Wir sind relaxed, wir laufen unser Tempo. Nach ca. 75 min ist es dann soweit. Die Erde hat sich weitergedreht und dekoriert die Bühne für uns Akteure in einem violett-orange. Unzählige Male gesehen und doch nie gleich.

Nach dem ersten Kontrollpunkt geht es mit einem kurzen Gastspiel von +300 Höhenmetern in einem langen Downhill über den 2. Kontrollpunkt nach Setti Fatma. Bis zu dem Punkt bei Kilometer 30,5 ist alles noch Kindergeburtstag. Hier können wir das erste Mal unsere Trinkflaschen auffüllen. Bis zur nächsten offiziellen Verpflegungsstelle sind es nun 38 lange Kilometer, die ständig ansteigen und bis dorthin ca. 1.900 Höhenmeter im Aufstieg aufweisen.

Uns geht es gut, Mareike und ich laufen zusammen. Bis zum letzten VP war Birger noch bei uns, er hat sich verabschiedet, will das Monster schneller bezwingen. Gutes gelingen!

Wir steigen stetig bergan, der Singletrail ist steil. Kurz vor einem der unzähligen Peaks, die wir überschreiten, hören wir Kindergeschrei, das von den mächtigen Felswänden zurückgeworfen wird und klingt wie das Grundrauschen eines Freibades im Juli. Wir schauen uns fragend an. Hinter uns sind in einem Abstand von vielleicht 300 m zwei Läufer auszumachen, doch das sind nicht die Verursacher dieses Singsangs. Nach weiteren Serpentinen sehen wir vor uns den Ursprung. Es sind drei große grüne Büsche, die mit einem Affenzahn singend in einem Abstand von 3 Metern den Berg herunterrennen. Es sind drei Frauen, den Rücken vollgepackt mit frischer Minze. An ihren Füßen tragen sie Gummischlappen! Bonjour... Bonjour!!!

In Gummischlappen!!!

„Was zum Teufel mache ich hier?“

Unsere Kehlen sind trocken in der dünnen Luft. Wir haben vorhin an einem kleinen Bach Wasser nachgefüllt und Tabletten zum Entkeimen benutzt. Nach meiner Erinnerung sollten gleich ein paar emsige Berber hier im Nichts auftauchen, die Cola und Wasser anbieten, dass sie mit einem Maultier in die Einsamkeit geschleppt haben. Die 40 Kilometermarke ist überschritten, da tauchen sie hinter einer Kurve auf. Wir nehmen diesen Zuckerschub dankend entgegen. Erstaunlicherweise haben sich die Preise für diesen exklusiven Service nicht erhöht, wenn man bedenkt welches Monopol die Berber-Jungs haben. 

An dieser Stelle begegnet uns Stephan Schwabe und beschließt von nun an, an uns dran zu bleiben. Die Strecke führt durch ein grünes Hochtal. Hier habe ich vor zwei Jahren fürchterlich gelitten. An dieser Stelle wollte damals aufgeben. Nicht realisierend, das der point of no return schon lange überschritten war. Jetzt unvorstellbar, mir geht es gut!

Gleicher Ort, andere Zeit, andere Einstellung! 

Am Ende des Tals machen wir eine kleine Pause bevor es wieder auf eine Höhe über 3.000 m geht. Wir trinken stark gesüßten Minztee, an dem jede Zahnfee ihre helle Freude hätte. 

Bei Kilometer 53 realisiere ich, dass wir ca. 1,5 h schneller sind als ich vor 2 Jahren. Fühlt sich irgendwie gut an. 

Erstaunlich gut ist mir die Strecke noch in Erinnerung. Mein Gehirn scheint die Fähigkeit zu haben, das unbewusst zu speichern. Wegführung und Topografie scheinen bei mir im Kopf einen kleinen Speicherplatz zu belegen, der wenn er benötigt wird, irgendwie sofort verfügbar ist. 

Es ist dunkel geworden und wir laufen seit ca. 14 h als uns ein bekanntes, menschliches Geräusch aufschrecken lässt. Das Geräusch zwingt unsere Stirnlampe, die Ursache zu suchen. Spot an!

Ein Läufer, der einer menschlichen Sache nachgeht, nur eben etwas lauter :-D

Ich möchte nicht wissen was er gedacht hat als ihn die dreifache Ladung 300 Lumen traf, wollte er doch nur im Stillen den Gesetzen der Natur folgen. Ich für meinen Teil brauche bestimmt Jahre bis das Bild in meinem Kopf verschwimmt. Kurze Zeit später in einem Canyon überholt uns der Läufer wieder worauf Stephan sagt: 

„Wenn er vor uns am VP ist, sind die Rosinen tabu.“

„Hey, wie weit ist es noch?“ fragt Stephan mich.

„Maximal 15 Minuten,“ antworte ich. Nach 12 Minuten sind wir da. 

Wir befinden uns bei VP6 68,5 Kilometer haben wir geschafft. An diesem Punkt dauert es nach vorne und zurück 8 Stunden bis zur nächsten Straße. Alles was uns hier serviert wird, haben die Helfer mit ihrem Engagement und mit Hilfe von Mulis heraufgeschafft. Sie sind einen Tag vor uns aufgebrochen.

Wir ruhen uns 20 Minuten aus, wir wollen gut über den höchsten Punkt der Strecke kommen. Was uns jetzt erwartet sind noch einmal 3 h Aufstieg bis auf 3.650 m ü.M.. Nach dem Überschreiten des Tizi n Tarharate erwartet uns ein Downhill von knapp 2.000 Höhenmetern auf 8 Kilometer bis nach Imlil. 

Langsam schleppen wir uns Schritt für Schritt nach oben. In der Ferne können wir vereinzelt die Lampen einiger Läufer ausmachen. Der Wind ist eisig, die Luft trocknet unsere Kehlen aus. Auf den letzten 300 Höhenmetern scheint sich der Berg, mit allem was er hat, zur Wehr zu setzen. Mareike ist 20 m vor mir, Stephan 30 m hinter mir. Wir hatten ausgemacht, dass wir zusammen bleiben bis nach dem Downhill. Er atmet sehr kurz. Ich will auf ihn warten, doch der Wind ist schweinekalt. Ich erreiche das Plateau. Ich kann seine Stirnlampe vielleicht 100 m hinter mir ausmachen, das passt, wir warten auf ihn am nächsten Kontrollpunkt.

Hier oben auf dem höchsten Punkt ist die Notunterkunft belegt. Sei es drum, wir wollen nur runter. Haben wir vorhin noch gefroren, wird uns beim Downhill schon nach kurzer Zeit warm. Es ist eine extreme Konzentration und Koordination gefragt. Wer hier stürzt und sich verletzt hat nicht nur den Kürzeren gezogen, sondern den ganz kurzen. Wir laufen auf einen Läufer auf, der es sichtlich schwerer hat als wir. Unter den langsamen Bergabläufern scheint es noch welche zu geben, die langsamer sind. Normalerweise bin ich nicht langsam aber bei dem Gelände und nach über 20 Stunden Laufzeit müssen wir kein Risiko eingehen. Ich kann mir nicht vorstellen wie die ersten drei (Daniel Jung, Armando Teixeira und Andrea Huser) das Ding hier herunterrasen. Wahnsinn!

Sie sind schon im Ziel! Wir kämpfen noch aber das Ende rückt näher.

In Imlil geht die Sonne auf und der Ort erwacht ganz langsam. Von hier aus kann man Treckingtouren in die Umgebung und die Besteigung des Toubkal machen. Vom Ziel trennen uns jetzt noch knapp 18 Kilometer mit satten 1.800 Höhenmetern im Aufstieg. Da wir ein Dropbag hier hinterlegt haben, ziehen wir uns kurz um, essen etwas zur Stärkung. Mareike legt sich eine halbe Stunde hin und Stephan geht rastlos auf den Stufen am VP umher. Wer es bis hier hin schafft, der kommt auch ins Ziel.

Ich fühle mich deutlich besser als vor 2 Jahren. 

Wir brechen auf und hauen ordentlich in die Tasten. Den nächsten Anstieg bringen wir zügig hinter uns, wir sind schnell. Wir wollen ins Ziel. Wir laufen schnell den Berg herab, wir fliegen. Stephan bleibt dran. Aus einem Bachbett steigen wir zum VP 13 auf. Hier treffen wir auf die Läufer der 26 Kilometerstrecke. Die letzten 9 Kilometer werden wir auf der selben Strecke unterwegs sein. Dieser Streckenabschnitt ist einer der schönsten auf der gesamten Distanz. Die Landschaft erblüht in Rot- und Ockertönen. Alte Wacholderbäume säumen den Trail. Dieser Ausblick entlohnt für alle Strapazen. Das ist Leben!

Vor dem letzten Anstieg schließt Jenny auf zu uns. Sie ist auf der UTAT Challenge gestartet. Sie ist gestern den Marathon gelaufen und befindet sich nun auf den letzten Kilometern der 26 Kilometer Strecke. Wir lassen sie ziehen. Es ist warm geworden. Eine Kurve, noch ein Baum, noch eine Kurve dann gibt das Gelände den Blick auf die zwei Fahnen in einiger Entfernung frei. Noch 1,5 Kilometer Geröllfeld, wir sind nicht mehr zu halten. Zwischen den Flaggen hindurch und das Ziel fest im Blick lassen wir alle Anstrengung von uns fallen und stürzen dem Ziel entgegen. Erstaunlich was der Körper leisten kann.

Ich fühle mich gut. Es ist 14:00 Uhr und auf den letzten Metern der Straße werden wir angefeuert. Noch 20, 10, nur noch 4 m. Es ist geschafft, wir haben das Ziel erreicht. 

Vor zwei Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich diese Strecke nochmals laufe. Dieses Jahr war ich eine Stunde schneller und ich denke da war noch Luft.  Wir alle haben die Ziellinie an diesem Sonntagmittag überschritten und haben damit ein Stück in unserem Herzen, an das wir uns alle noch erinnern werden.  


Nachtrag: Ich kann diesen Lauf jedem empfehlen, es ist nicht nur ein Ultralauf sondern ein Abenteuer. Die Organisation ist gut und es herrscht eine familiäre Atmosphäre.

Oliver Binz macht mit seinem Engagement für die deutschsprechenden Teilnehmer das ganze vollkommen. 

Ich sage nur: „Traut euch und ihr werdet einen Ultralauf erleben wie ihr ihn hier in den Alpen nicht finden könnt“


au revoir

                                              

الى اللقاء