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100 Meilen können verdammt lang sein!

 

Es ist Nacht. Ich bewege mich wie in Zeitlupe. Ab und an istein Stein im Weg. Meine Füße suchen  bei jedem Schritt auf dem Trail nach Halt. Mein rechter Schuh rutscht auf einem Stein nach vorne, mein Körper zuckt und ich merke, dass irgend etwas nicht stimmt. Ich öffne langsam meine Augen, die Streifen der Fahrbahnmarkierungen verschwinden unter dem Auto. Wir sind auf der Ausfahrt der A61 Richtung Koblenz. Ich muss vor 20 Minuten eingenickt sein.

 

Vor ca. 37 Stunden hatte alles angefangen. Um 7:00 Uhr standen 34 Ultraläufer und ich am südlichen Weintor in Schweigen-Rechtenbach unweit der französischen Grenze. Vor uns liegen 162 Kilometer mit mehr als 5.000 Höhenmeter auf dem Pfälzer Weinsteig. Günther und Christine Bruhn hatten diesen Lauf organisiert und zum 1. Pfälzer Weinsteig Ultratrail geladen. Nach ein paar warmen Worten von Günther und Christine setzte sich das kleine Feld langsam in Bewegung Richtung Norden. Das Wetter sollte mitspielen, die Tagestemperatur könnte bis 25°C ansteigen. Beim Start waren es 14°C. Wir liefen in die Morgendämmerung. Nach ca. 3 km bog der Waldweg nach links in ein Tal. Kurze Zeit später, nach einem Blick auf das GPS, bemerkte einer, dass wir ca. 50 Meter zu weit rechts neben der Route waren. Wo bitte war denn da eine Abzweigung? „Hast du…eine gesehen? Nee!.. Du? Nee. OK.. Was machen wir? Querfeldein, den Berg hoch“ Es ging steil nach oben, sehr steil! Nach 5 min waren wir wieder auf der Strecke. Ein Wadenkiller und das direkt auf den ersten 5 Kilometern. Es geht bergauf, ich muss ständig husten. Letzte Woche hatte ich eine kleine Erkältung. Mist, immer noch nicht ganz weg. Ich war beim Arzt,Lunge frei. Mir geht es auch nicht schlecht aber es nervt. Ok, denke ich, wenn ich die Nacht auch noch so belle, halte ich mir wenigstens die Wildschweine vom Hals :-D  

Wir laufen an Bad Bergzabern vorbei. Die Beine fühlen sich gut an. Die Aussicht ist genial. Alles passt. Ich vergleiche den Lauf mit einem langen Flug. Du musst ständig deine Instrumente im Auge behalten, das Wetter, die Höhenmeter und ganz wichtig, die Tankanzeige.


Kilometer 24,3: Kurz vor Burg Landeck, der erste VP.  Zwischenlandung, einmal auftanken bitte! Insgesamt gibt es auf der Strecke sechs VP’s. Macht alle 25 km ein VP, das sollte ausreichen. Ich gewinne an Höhe und lasse Klingenmünster rechts unter mir liegen. Seit einiger Zeit laufe ich mit Andreas und Ralf. Wir laufen Richtung Annweiler am Trifels. Hier am Drei-Burgenblick stehen verrückt aussehende Felsen herum. Snap..Snap.. ein paarFotos geschossen und weiter geht’s. Die Muskulatur ist in Ordnung. Im Schnitt laufe ich mit einer knappen Pace von 7 km/h. Ich stelle mir die Frage, ob ich das über die Nacht aufrecht halten kann. Nach 41 Kilometer steht Peter, mein Support. Auftanken, ein alkoholfreies Weizen….zisch…..weg. Noch eins!! Nach 5 Minuten sind wir wieder auf der Startbahn. Ich halte mich an die Koordinaten,es geht zum nächsten Checkpoint.

 

Kilometer 56,5 VP 2: Ich bin wieder alleine unterwegs, meine Flügelmänner haben abgedreht. Es geht hinauf zum Ohrenfels, von dort aus hat man einen überragenden Blick in Richtung Landau. Die Sonne hat ihren Zenit schon länger überschritten und ich mache mich auf den Weg. Meine Gedankenkreisen, hin und wieder ein Blick auf das GPS. Im Grunde ist alles gut ausgeschildert mit der Markierung des Weinsteigs, doch an der einen oder anderen Stelle ist eine Überprüfung nicht schlecht. Meine Suunto zeigt 76 Kilometer an, eigentlich müsste mein Support Peter gleich erscheinen. Erste Turbulenzen kündigen sich an. Ein Windbruch vor mir, der  Weg ist gesperrt, U1 folgen steht auf einem Schild. Ich befinde mich auf der Umleitung U1 im Sinkflug ins Tal. Der Wald spuckt mich nach 400 Metern auf einer Landstraße aus. Rechts oder links, barfuß oder Trailschuh, das ist hier die Frage. Ich wähle links. Die Dämmerung hat eingesetzt. Ich bin auf Kurs und biege von der Straße auf einen Feldweg ab.Mein Support hat mich schon erwartet. Die Flüssigkeitstanks werden aufgefüllt,die Batterien gecheckt, Lampentest und noch etwas Spezialtreibstoff. Ein Dank an das Bodenpersonal, wir sehen uns bei KM 84. Hau rein!!

 

Kilometer 84 VP 3: Was Günther und Christine hier auf dieBeine gestellt haben, ist eine Wucht. Für uns Läufer haben sie ein richtiges Buffet in die kleine Stube des Wappensaals gezaubert. Hier dauert meine Zwischenlandung etwas länger. Auch einige andere haben zur Landung angesetzt. Es wird gescherzt und gelacht. Es ist doch immer erstaunlich wie man nach solchen Distanzen noch drauf ist. Von Müdigkeit keine Spur. Es wird Zeit, ich habe noch einen Nachtflug vor mir und hier wird die Crew nicht ausgetauscht. In der Nacht kurz vor Neustadt haben Steffen, Melanie und Michael am Hambacher Schloss zu mir aufgeschlossen. Bei mir geht es nicht mehr so schnell voran. Gegenwind??  Wir laufen gemeinsam durch Neustadt.

Kilometer 104 VP4: Stopover, eine Suppe, ein eiskaltes alkfreies Weizen. Zisch…Zisch….!! Ich muss mir wohl die Reifen beim Bremsen zu heiß gefahren haben. Ein Systemcheck ist angesagt. Zwanzig Minuten später steige ich mit Michael. Wir laufen zusammen, noch zwei Stunden, dann geht die Sonne auf. Wir quatschen über vergangene und zukünftige Läufe. Es ist 5:50 Uhr, mein Flügelmann ist müde, er will sich auf einer Bank ausruhen. Ich friere, laufe weiter. Es geht bergab. Ich muss einen Jetstream erwischt haben. Ich bin voll konzentriert, die Instrumente im Blick und Rückenwind. Bloß keinen Fehler machen. Boom…..Kawumm, ein Schmerz, die Zehen an meinem linken Fuß…was war das? Vogelschlag?? Bämm…! Rechter Fuß. Auaaaa, das tat richtig weh. Ich habe mir miteinem Stein von der Größe einer Pampelmuse, einen super Pass von dem linken auf den rechten gegeben. Zum Glück war es ein loser Stein aber die Zehennägeln kannst du vergessen, schießt es mir durch den Kopf. Ich laufe durch Königsbach,meine Maschine läuft nicht mehr so rund wie beim Start. Muss ich mir Sorgen machen??

Auf dem Weg nach Deidesheim führt der Weinsteig am Waldrand entlang. Und für einen Augenblick wird alles Vergangene, Erlebte und Zukünftige zur Nebensache. Ich bleibe stehen und mein Blick wandert von meinen Füßen langsamnach oben über die Weinreben, durch den weißen Morgennebel in den brennenden Himmel. Ich könnte Millionen Sonnenaufgänge sehen, jeder wäre anders und jeder wäre etwas Besonderes. Ich sauge die kalte Morgenluft in mich ein. Jetzt könnte ich auch eine Bank gebrauchen. Weiter geht es durch Deidesheim, das Städtchen liegt noch im Sonntagsschlaf. Ich bewege mich langsam, die Gelenke scheinen kalt zu sein. Vielleicht ist die Hydraulik defekt. Meine Uhr zeigt 133 km,eigentlich sollte bei 129 km der VP 5 sein. Habe ich mich verlaufen?? Mein Rücken schmerzt, mein linkes Knie sticht. Ich huste noch immer. Kolbenfresser!! Wenn ich mich jetzt noch verlaufen habe, was bringt es dann überhaupt noch? Es ist erstaunlich wie schnell die Stimmung in so einem Ultralauf kippen kann. Vor einer halben Stunde saß ich noch in einem nur wenige Jahre alten Passagierflugzeug mit neu gewarteten Triebwerken und schneeweißem Pilotenhemd, Sonnenbrille und Zahnpastalachen. Jetzt befinde ich mich in einem 65 Jahre alten Bomber mit einem brennenden Motor, defektem Leitwerk. Mein Hemd hat viele Flecken bekommen und ich halte verkrampft den Steuerknüppel in der Hand. Ich versuche einfach erstmal das Ding zu landen.

“Ich gebe auf“, das waren meine Worte als mir Peter vor dem VP entgegen gelaufen kam. „ Du kannst nicht aufhören, du bist schon so weit gekommen“. Er hat Recht, es ist mir aber egal. Wem muss ich etwas beweisen? Ihm?... Mir?... Sonst Irgendwem? Der Gedanke an die Stunden die ich noch unterwegs sein würde, das geht gar nicht. Nee, mein Entschluss steht fest. Ich eiere auf den VP zu, eine Spaziergängerin mit ihrem Hund kommt uns entgegen. Der Hund ist nicht angeleint und sprintet direkt in meine Richtung. Ich habe keinen Bock mehr, das ist bestimmt schon der zehnte Hund, der nicht angeleint ist. Verschwinde….du….ich bin schlecht drauf. Den Kampf verlierst du. Er dreht ab. Noch 100 m bis zum VP. Ich lasse mich in den Campingstuhl fallen. „ Was kann ich gutes für dich tun“ fragt mich eine Frauenstimme. Ich starre ins Leere, so habe ich mir das nicht vorgestellt.  „ Kaffee, viel Kaffee“  Die Minuten vergehen. Ich esse zwei belegte Brote. Peter redet auf mich ein. Mir kommt es vor als stünde ich selbst neben mir. Ich starre auf einen Parkplatz, keine Empfindungen, nichts. Es vergeht eine ganze Weile, bis ich aus der Ruhe gerissen werde. Es kommen zwei Läufer zum VP. Frank M. und Günther K. sind eben angekommen und wie mir scheint sowas von gut drauf. Wie ist das möglich? Ich gehe zum Auto und ziehe mir andere Klamotten an. Die Sonne hat Kraft und trotzdem friere ich. OK, umziehen, vielleicht noch ein paar Kilometer. Mal sehen was geht. Ob überhaupt was geht. Ein Marathon mit 1.500 Höhenmetern wird, so bin ich mir zu diesem Zeitpunkt sicher, nicht mehr gehen. Ich gehe alles durch,jeden Schalter im Cockpit. Der Tower funkt mich an. Ich habe Startfreigabe.Meine rechte Hand schiebt behutsam den Griff nach vorne. Ganz langsam kommt die alte Kiste auf Geschwindigkeit. Die Startbahn ist kurz. 21…22…23…die Räder verlieren den Boden und ich habe zwei neue Copiloten.

 

Die 8 km bis Dad Dürkheim vergehen wie im Flug. Die Temperatur ist inzwischen auf über 20°C geklettert. Unter uns liegt die Stadt. Mit Rückenwind sausen wir drei durch die Rebstöcke hinunter.  Erstaunlich was alles geht, selbst nach 137 Kilometer. Der letzte Berg und rund 25 Kilometer liegen noch vor uns. Mein Support erwartet mich am Fuße des Steinbruchs. Kurze Erfrischung. Alle Systeme werden noch einmal überprüft. Ein Red Bull gekippt. Die anderen zwei sind schon weg. Die Wartung bei mir dauert etwas länger. Für die nächsten 2 Kilometer muntert mich Peter ein wenig auf. Wir sind im Steigflug, es geht steil nachoben. Nur nicht überziehen. Ich habe nicht mehr viele Reserven. Nach einer halben Stunde wünscht Peter mir viel Erfolg. Ich ziehe weiter nach oben. Ich höre die Stimme: „Wir haben nun unsere endgültige Reiseflughöhe erreicht, bitte bleiben sie noch so lange angeschnallt bis die Anschnallzeichen über ihren Sitzen erloschen sind“ Ich habe ich Frank und Günther eingeholt.

Meine Uhr zeigt 148 Kilometer an. Ich fliege mit Autopilot und gönne mir ein kurzes Telefonat mit meiner Frau. Ja, ich bekomme das hin,ich fliege die Kiste nach Hause. Der letzte VP ist in Battenberg bei 151 km, von dort sind es noch 11 km bis ins Ziel in Obersülzen. Nach 5 Minuten gelange ich an eine Kreuzung mit einem Wegweiser. Battenberg 8,6 km !!?? Unmöglich, das kann nicht sein. Der Alarm im Cockpit meldet sich und der Stickshaker spricht an. Warning…Warning…Warning!! Der Autopilot ist raus, zwei von vier Motoren sind ausgefallen. Konzentriere dich, du schaffst das, schießt es mir durch den Kopf. Nur nicht aufgeben. Such nach dem Handbuch in deinem Kopf und schlag nach was in einer solchen Situation zu tun ist. Warning…Warning…!! Verdammt, bleib bei der Sache! Stabilisieren, Treibstoffzufuhr abschalten. Ich könnte es noch schaffen aber die Zeit wird wahrscheinlich mein größter Feind. Die Sonne brennt am Mittag. Warum ist es so verdammt heiß im Oktober? Von einer Landung in Battenberg kann man nicht gerade sprechen als ich dort ankomme. Ich bin froh ein kleines Feld für den letzten Stop gefunden zu haben. Einige derf reundlichen Menschen am Versorgungspunkt faseln etwas von 13-14 km bis ins Ziel. Das werde ich nicht schaffen, ganz bestimmt nicht. Ich taumele über die Startbahn und einzig allein die Tatsache, dass es Berg ab geht, lässt mich abheben. Am Horizont kann ich Grünstadt ausmachen. Vor mir ein paar Häuser. Noch nie vorher habe ich so gezweifelt. Die letzten sechs Kilometer sind grauenvoll. Frank, Günther und Michael ziehen vorbei. Ihre Motoren laufen zwar auch nicht mehr rund aber sie laufen. Das Leitwerk ist komplett im Eimer und der Kühler droht zu platzen. Vier Kilometer, das zieht sich wie eine Ewigkeit.Das wird eine Bruchlandung. Ein Blick auf die Uhr, die Zeit scheint still zu stehen. Unter der Autobahn hindurch leicht bergab. Ich habe keinen Schub mehr. Noch 400 Meter, dann nach links abdrehen und noch einmal 400 Meter. Ich denke  nicht, dass ich den Vogel so lange oben halten kann. Die Sekunden werden zu Minuten. Ich drehe links ab und habe die Landebahn vor mir liegen. Es ist ein grünes Grasfeld, 100 x 200 Meter groß. Aus den Weg, ich komme verdammt hart rein. Das Ruder in der linken Hand, die rechte fixiert die Atemmaske. Das Fahrwerk lässt sich nicht ausfahren. Noch 100 Meter,noch 50, 40, kein Schaumteppich ausgelegt. Der Tower ist mit Günther und Christine besetzt. „Bin fast da“ Die Ziellinie ist vor mir auf dem Boden.Aufgesetzt!!  

Touch down!! Erleichterung überkommt mich. Günther und Christine gratulieren mir zuerst. Peter, der mich auf der letzten Runde auf dem Feld begleitet hat, umarmt mich mit dem Satz „Ich wusste dass du es schaffst“  Ich blicke an mir herab, was ich sehe ist einin den letzten 34 Stunden um scheinbar Jahre gealterter Mann in einem ölverschmierten Overall. Der Blick wandert zur Uhr. Sie zeigt 168 km mit ca. 5.300 Höhenmeter an und in diesem Moment stelle ich mir die Frage: „Muss ich das nocheinmal haben?“

 

Resümee: Was Günther und Christine Bruhn mit einem Team beidiesem ersten 100 Meilen Weinsteig Trail auf die Beine gestellt haben, ist einen Applaus wert. Die Betreuung und die Verpflegung vor, während und nach dem Lauf waren spitze. Kurz und knapp: Von Läufern, für Läufer! Die Landschaft warsuper, Es gab klasse Trails mit richtig viel Höhenmetern. Es war ein schwerer Lauf. Versprochen waren 162 km, am Ende waren es 168 km. Und die sechs Kilometer haben mir am meisten zu schaffen gemacht. Mag sein, das ich einen schlechten Tag hatte oder zu wenig Training. Am Ende zählt, das ich das Ziel erreicht habe.


La soledad del corredor

Fraggle