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Grenzläufer
Im schwachen Licht der Stirnlampen kann ich den Untergrund gerade so erkennen. Mein Atem geht schwer, meine Oberschenkel brennen. Mein Blick geht nach vorn, ich kann das Ende des Tunnels nicht sehen doch ich weiß, dass es bald vorbei ist. Ich befinde mich in der dreizehnten und letzten Runde und das 508 m Untertage. Ein Gedanke kommt mir schon zum zweiten Mal in den Sinn „ Letzte Woche, Brocken Challenge war irgendwie leichter.“
Vom Gipfelstürmer zur Tunnelratte! Es ist der 13. Februar 2015, ich sitze im Hörsaal der Uni in Göttingen. Die Stimmung ist fast mystisch. Gespannt schaue ich auf die Bilder, die von einem Projektor auf die nackte Wand gezaubert werden. Gezeigt werden Läufer mit lachenden Gesichtern, Personen mit leerem Blick, verzauberte Winterlandschaften und stolze Finisher. Am 14.02.15 um 6:00 Uhr stand ich an der Startlinie im Göttinger Wald. Das Thermometer zeigt -2° C. Das Feld setzte sich in Bewegung. Beim Briefing am Abend zuvor sagte man uns, dass auf den ersten 42 km die Wege zu 95 % schnee- und eisfrei sind. Auf den ersten 5 km durch den Wald standen am Weg auch einige Fackeln, die den Läufern den Weg weisen sollten, hier und da noch etwas gefrorener Schnee. Nur nicht zu schnell laufen, nicht überziehen, der Lauf ist noch lang.
Sonntag, 22. Februar 2015, es ist 9:45 Uhr und ich stehe mit Almuth, Mareike und Peter in einem Aufzug, der uns in einem respektablen Tempo in eine Tiefe von über 500 m unter die Erde befördert. Wir sind in Merkers auf dem Weg zum Start des Kristallmarathons. Hier verlief ebenfalls die innerdeutsche Grenze vor 1989, nur eben 1600 m tiefer und im Dunkeln. Hier im Bergwerk wurde bis zum Jahr 1991 Kalisalz abgebaut. Außerdem wurden hier im 2. Weltkrieg große Mengen Nazigold, Reichsmark und Kunstgegenstände gelagert. Der Marathon wird über dreizehn Runden mit je 3,24 km Länge gelaufen auf der sich knapp 58 m im Auf- und Abstieg je Runde befinden. Nach Adam Riese 750 Höhenmeter auf der Marathondistanz.
14.02.15, ich bin bei Kilometer 13. Ein zartes violett kündigt den Sonnenaufgang an. Mit jedem Kilometer verändert sich der Himmel. Es ist ein Schauspiel der Superlative. Bei KM 22 der zweite VP, ab hier laufe ich ein Stück mit Rolli. Es geht hoch zur Tilly Eiche, ab hier ist Trail angesagt. Matsch, Matsch und nochmal Matsch Nach dem Downhill habe ich den Eindruck meine Schuhe wiegen das Dreifache. Die Sonne ist aufgegangen und das Thermome,ter ist über Null geklettert. Ich fühle mich gut und genieße den Lauf.
22.02.15, ich habe das Tempo rausgenommen. Zu schnell war ich auf den ersten Runden, macht nix denke ich. Es ist warm hier unten, der Helm den alle Teilnehmer tragen müssen, drückt ein wenig. Meine Kehle ist staubtrocken. Es geht in die sechste Runde. Der Gedanke, dass sich über mir ein halber Kilometer Fels befindet, lässt mich kalt. Ein halber Kilometer oder die Zimmerdecke von einem Einfamilienhaus…vollkommen Wurst….platt biste eh, wenn‘s dir auf den Kopf fällt. Da passt kein Hut mehr.
14.02.15, ich laufe durch Barbis. Hier ist der Marathon geschafft und der eigentliche Ultra beginnt. Mit 4:35 Stunden bin ich durch. Kein Klamotten- oder Schuhwechsel, ich fühle mich noch frisch. Nach 5 min Pause laufe ich weiter. Vor mir liegt der berühmte Entsafter. Nicht, dass dieser Streckenabschnitt sehr steil wäre, er ist nur lang, ziemlich lang und das kostet Kraft. Ich nutze die Zeit, um meinen Körper aufzutanken. Von hinten schließt Harald zu mir auf. Wir quatschen und quatschen. Das macht den Lauf bis zum nächsten VP kurzweilig und entzieht dem Entsafter die Härte.
22.02.15, in der letzten Runde bin ich an Almuth vorbei gelaufen, Sie fühlt sich gut und ist nach der Hälfte des Marathons über zehn Minuten vor ihrer Zeit. Vor mir läuft Mareike ihren Stiefel durch die Dunkelheit. So langsam merke ich die Knochen. Ich kann nicht sagen, ob es an dem Untergrund liegt, am schnellen Downhill auf jeder Runde oder an der Challenge vor einer Woche. Wahrscheinlich von jedem etwas. Die Vorstellung noch 16 Kilometer zu laufen ohne etwas zu sehen, was eine andere Farbe hat als schwarz oder grau hebt nicht gerade meine Stimmung. Kurze Unterhaltung mit Mareike und ab dafür. Augen auf oder zu…egal und durch. Was würde ich jetzt für die Sonne geben.
14.02.15, der Himmel ist blau und es ist richtig warm geworden. Wir haben noch 17 Kilometer vor uns. Seit dem VP bei KM 53,8 habe ich die Yaktrax angezogen, diese machen das Laufen deutlich leichter auf Eis und Schnee. Rechts und links auf dem Weg befinden sich die Loipen der Langläufer, in der Mitte laufen wir. Abseits des Weges sollte man sich nicht versuchen, sonst ist man bis zum Schritt verschwunden. Einige Langläufer feuern uns an, ein gutes Gefühl. Andere wollen wissen, wo wir herkommen und wo wir zum Henker hinlaufen. Kein Zweifel das Ziel zu erreichen. Wenn’s gut läuft noch unter 11 Stunden.
22.02.15, das elfte Mal habe ich diese Ecke gesehen. Das elfte Mal die lange Gerade vor mir erblickt und gleich werde ich zum elften Mal den Berg zum Start und Ziel herablaufen. Die Luft ist raus.
Gipfelstürmer:
Tunnelratte:
Es waren Grenzläufe im Sinne der Geschichte, für mich waren es Grenzläufe, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Strahlender Sonnenschein, Kälte und atemberaubende Landschaft auf der einen Seite und Dunkelheit, Wärme und Tunnelblick auf der anderen Seite. Ein Ultralauf über 80 Kilometer und ein schneller Marathon innerhalb von acht Tagen. Die unterschiedlichsten Bedingungen und das, obwohl die zwei Läufe noch nicht einmal 150 km Luftlinie voneinander entfernt liegen. Beides hat etwas Besonderes. Beides für sich ein Erlebnis. Beides innerhalb von 8 Tagen, für mich eine Grenzerfahrung. Glückwunsch an alle Finisher der BC 2015 und des Kristallmarathons. War schön euch zu sehen, mit euch zu laufen und zu feiern.
La soledad del corredor Fraggle
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