Salomon 4 rails
Hungry Mountains
Mein Blick schweift über die grandiose Bergkulisse.....nur ganz kurz, dann gilt meine Aufmerksamkeit wieder dem Trail. Es ist steil, sehr steil. Meine Füsse schreien bei jedem Schritt auf. Mein Puls liegt bergab alles andere als im Erholungsmodus. Noch 4 km bis Landeck und ich habe das Gefühl, der hungrige Berg hat mich gefressen und wieder ausgespiehen. Es ist der dritte Tag der SALOMON 4 Trails.
Angefangen hat alles vor drei Tagen in Garmisch mit der 1. Etappe. Bei dem Briefing und der Eröffnung ein paar bekannte Gesichter. Man nickt sich zu, man umarmt sich und fragt nach persönlichen Zielen.
Mittwoch 09:59 Uhr: Noch eine Minute bis zum Start. Wir wünschen uns Glück und zählen mit. 6...5...4...3...2...1...go....
Alles war super, vom Start weg war es gut gelaufen. Das Tempo war hoch. Die ersten 10 Kilometer nur nicht überziehen. Ich bin schneller unterwegs als vergangenes Jahr. Auf dem Downhill nach Hammersbach überhole ich mehrfach. Die Strecke wird flacher, ich werde leichtfüßiger. Vor mir eine Spanierin, ich setze zum Überholen an......und dann passiert es. Ich bleibe mit dem linken Fuss an einem, aus dem Boden herausstehenden Stein, hängen. Ich wollte sie laufend überholen, nun fliege ich an ihr vorbei. Ich werde hart gebremst als ich aufschlage. Ein Schmerz in der rechten Schulter, ein stechender Schmerz im rechten Unterschenkel. Mir schießt ein Gedanke durch den Kopf.......das war es,du bist raus.
Todos bien, todos bien?, höre ich eine Stimme. Ok, alles gut, sage ich. Meine rechte Wade ist hart wie ein Stein. Mein Bekannter Oliver war ca.20 m vor mir als er meinen vom Dreck erstickten Schrei hörte. Er hat mir den Krampf aus dem Bein gedrückt. Zum Glück nur ein Krampf. Das Rennen ist noch nicht vorbei aber die Euphorie hat nachgelassen. Erster Gedanke, die heutige Etappe überstehen. Am Ende der Etappe als der Mut wieder die Oberhand gewinnt, sehe ich 5 km vor dem Ziel einen, den es schlimmer erwischt hat. Die Hilfe war schon zur Stelle.
Ich laufe in Ehrwald durch das Ziel, 30 min schneller als letztes Jahr.
Das ist Laufen, mal ein Hoch und mal ein Tief.
Etappe II: 7:00 Uhr, wir stehen am Start. Heute kommen wir in den Genuss der Grünsteinscharte. Schnee hinauf und steiler Abstieg auf Schotter. Schuhe mit Grip sind angesagt. Wir kommen am Seebensee vorbei. Oliver ist ca. 5 min vormir, er kann einfach schneller, wenn es nach oben geht. Es ist steil....sehr steil. Noch ein See. Bäume habe ich schon eine ganze Weile keine mehr gesehen. Noch zehn Meter dann habe ich einen freien Blick. Dort liegt sie vor mir, die Scharte, zum Greifen nahe und doch vergehen noch 40 Minuten bis ich sie überschreiten werde. Nach 35 Minuten stehe ich in einer Kette von Läufern. Es ist jetzt so steil, dass ich mit dem ausgestreckten Arm die Schneewand vor mir berühren kann. Mir schießt plötzlich durch den Kopf..... Wenn jetzt einer über mir rutscht, dann rutschen alle. Noch 3 Meter bis zu jenem Punkt, den ich schon so lange im Visier hatte. Ich höre einen Satz, der mir ein Lachen in mein in Stein gemeißeltes Gesicht zaubert: "Macht langsam Jungs, die ersten Läufer sind schon im Ziel. Bei euch geht es nur noch ums Überleben."
Beim Downhill habe ich die freie Auswahl. Rechts und links Schneefelder, in der Mitte Schotter. Ich nehme die goldene Mitte. Nach drei weiteren Stunden befinde ich mich auf dem Grat. Der Ausblick entschädigt für alles. Jetzt noch elf Kilometer bis nach Imst und dann ein Weißbier.
VP3: Noch 6 km, es ist heiß, ich laufe einen breiten Forstweg entlang. Gleich ist es geschafft, 2712 Höhenmeter und etwas mehr als 45 km, Etappe zwei im Sack.
Etappe 3: Noch 4 km bis Landeck, ich denke, dass mich der Berg frisst, Stück für Stück. Jeder Stein unter meinen Füssen gleicht einem Zahn, von einem riesigen, hungrigen Etwas, das sich in meinen Körper bohrt. Ja...mich lebendig auffrisst. Vor mir taucht die Burg auf, es ist nicht mehr weit. Meine Stöcke halte ich zusammengeklappt in den Händen. Die Treppe vor der Hauptstraße, noch 300 m. Ein Passant sagt: "Weiter so, das sieht gut aus, ihr seid locker"... Lügner.. Lügner...., egal. Eine letzte Etappe wartet auf mich und die letzten noch verbleibenden 47,6 km.
Etappe 4: Ab in die Schweiz auf den Schmugglerpfad. Gestern Abend beim Briefing haben wir erfahren, dass die letzte Strecke länger ist. Wir müssen am Anfang einen anderen Weg nehmen, ein Bergrutsch hat die geplante Strecke unpassierbar gemacht.
Alle im Startbereich sind gut drauf. Alle wollen diesem kräftezehrenden Monster die Stirn bieten. Heute geht es zum höchsten Punkt der 4Trails. Der erste Aufstieg geht von Landeck (817 üM) hinauf zum Fisser Joch (2432üM). Die Oberschenkel fühlen sich lange nicht mehr wie die Meinen an. Ich habe das Gefühl, wie eine Marionette zu laufen. Der Weg in die Schweiz ist steinig. Nachdem VP 1 geht es auf einem single trail bergab. Ein Traum für jeden Trail Runner. Oliver ruft mir von hinten lachend zu: "Hey Pinocchio, du läufst wie eine Holzpuppe, bei der man vergessen hat, ein paar Gelenke einzubauen".Super denke ich. Recht hat er. "OK Gepetto, dann bewege dein Handkreuz mal etwas schneller, sonst frisst am Ende noch der große Wal Pinocchio auf."Wir lachen beide. Was machen 10, 15 oder 20 Minuten bei so einer Distanz schonaus. Unser Ziel heißt Ochsenscharte auf 2787 m. Ab dort geht es runter nach Samnaun. Hier oben sieht es aus wie in einem Baustofflager von Raab K......,Mondlandschaft, eisblaue Gebirgsseen. Eine lebensfeindliche Landschaft. Mein Blick schweift zum wiederholten Male über die Berge. Meine Lungen füllen sich mit der klaren Luft. Der letzte Downhill beginnt. Wir haben das Gefühl zurasen. Wahrscheinlich ist es das Tempo, das andere zum Einlaufen haben:-)
Die letzten 300 m in Samnaun, wir laufen dem Ziel entgegen. Hunger, Durst undein Gefühl von absoluter Zufriedenheit macht sich breit. Die Zeit um uns herum steht still. Absolute Ruhe in meinem Inneren breitet sich aus.
It's done, when it's done!!
Der menschliche Körper ist im Stande außerordentliches zu leisten.
Was haben wir für ein Schwein, das alles erleben zu dürfen. Hahaaa, vor Jahren noch hätte man Leute wie wir, die in kurzen Hosen, mit Shirts und irgendwelchen Laufschuhen mit Traktorreifenähnlichem Profil über die Berge laufen, weggesperrt und nie wieder raus gelassen :-) Heute feiert man sie.
Wir haben viele verrückte Dinge gesehen. Läufer, die von Kopf bis Fuß in Kompressionskleidung steckten, es liegt nahe, dass sie in sich zusammenklappen,wenn sie diese nach den vier Etappen ausziehen. Unbeschreiblich schnelle Läufer, wie der Sieger Tofol Castaner. Wir haben viel gelacht und ich fürmeinen Teil habe an mir das eine oder andere Mal gezweifelt, vor allem dann,wenn ich fix und alle war und sich meine Füsse so anfühlten als hätte ein Folterkünstler die formvollendete Kunst der Bastonade angewendet.
Ohne Tief, kein Hoch. Es hat jede Menge Spaß gemacht und es werden noch viele Läufe folgen. Doch dies ist eine andere Geschichte........
Die Welt dreht sich weiter und wir uns mit ihr.
la soledad del corredor
Fraggle