• IMG_1231
  • DSCN1351
  • DSCN1355
  • DSCN1364
  • P5290020
  • IMG_1200

    

        

         

WiBoLT oder soweit die Füße tragen

Es ist Mittwoch, der 29.05.2013, Kawi und ich sitzen im Auto und sind aufdem Weg nach Wiesbaden.  Es regnet in Strömen und es ist kalt. Um 18:00 Uhr istder Start zu einem Event, das es so noch nicht gab. Vor uns liegen 320 km undca. 11.700 Höhenmeter. Ein Nonstop Ultralauf, nein der erste Nonstoplauf übereinen der schönsten Wanderwege in Deutschland, den Rheinsteig.

Am Schloss in Wiesbaden stehen alle, die sich noch entschlossen haben,dieses Ding anzugehen. Auf der Liste standen rund achtzig Läufer. Kawi und ich gehen noch etwas essen. Noch zwei Stunden bis zum Start. Ich will endlich los.Die Warterei ist kaum zu ertragen. Wir sehen bekannte Gesichter, kennen Namen. Viele wissen nicht, was vor ihnen liegt. Wir schon!! Es wird hart, sehr hart.

Wir checken nochmal die Ausrüstung, der Regen hat nachgelassen. Ich binbereit, wir ALLE sind es.
Wir laufen ca. 5 km am Rhein entlang. Mir kommt die gesamte Distanz unendlich vor. Ich habe mir im Vorfeld überlegt, wie ich die 320 km aufteilen kann, damitsie in meiner Vorstellung zu realisieren sind. Nach vielen Möglichkeiten erschien mir 10 x 32 km am Besten, wenn man überhaupt von so etwas sprechenkann. Neunzig Stunden Zeitlimit, oh mein Gott!! Das sind zwei Arbeitswochen am Stück : -)

Wir sind bei Km 14, es geht bergab. Kawi und ich lassen es rollen. Es rollt gut, es rollt so gut das wir an einer Abzweigung vorbei rasen. BINGO..... die ersten 1,2 km verlaufen und es ist noch nicht einmal dunkel. Was soll des erst in der Nacht geben?

VP1 Schlangenbad: Wir fühlen uns gut, die Orientierung ist wieder hergestellt. Wir nehmen uns 20 min Pause. Wasser auffüllen und für die erste Nacht rüsten. Es geht durch den Rheingau, die Steigungen sind noch annehmbar. Die Nacht bricht herein. Wir schalten unsere Stirnlampen ein. Um uns liegen die sanften Hügel, die zum Weinanbau genutzt werden. "In vino veritas.""Ist das wirklich so?", schießt es mir durch den Kopf.

Die Wege sind schlammig. Der Regen der letzten Tage sucht sich über den Rheinsteig den Abfluss.
Km 42, wieder ein Marathon im Sack! Meine Füße sind aufgeweicht, mal schauen wie es läuft. Wir laufen in Kestrich an einer Klinik vorbei, Michael hat uns vorher schon gewarnt. Wenn da Personal steht und euch fragt, was ihr vorhabt,sagt bloß nicht die Wahrheit, die sperren euch weg. Für immer....

Km 56 Niederwalddenkmal: In der Ferne kann ich die Lichter in einem großen Bogen erkennen, wir kommen dem Rhein näher. Unser nächstes Ziel heißt:Morgendämmerung. Wir müssen uns immer kleine Ziele setzen, zu groß ist die gesamte Distanz. Uusi ist bei uns, wir laufen ein Stück zusammen. Er versorgt uns mit einem Kaffee Shot in kaltem Wasser. Der Morgen bricht über uns herein.Der Rhein liegt vor uns, die Nacht hat uns ausgespuckt. So schön kann Laufensein.
Der Weg windet sich durch die Weinberge. Die Rechtskurven geben, nach den eng eingeschnittenen Tälern, den Blick auf die Burgen frei.

VP Lorch: Wurst, Käse, Bier alles, was der Trailrunner so braucht. Wir kommen der Loreley näher.
Wir sind auf einem Berg, ich kann sie sehen, die Loreley. Sie scheint ganznah.... doch diese blonde, auf dem Stein sitzende Schönheit, verführte nichtnur die Kapitäne unzähliger Schiffe, sondern auch uns. Es kommt mir vor, als würde sie sich mit jedem meiner Schritte weiter entfernen.

Km 106 Loreley, endlich 13:50 Uhr.
Wir haben Hunger, brauchen etwas Warmes zu essen. Fußpflege ist angesagt. Ein Drittel liegt hinter uns. Mit neuen Schuhen geht es weiter. Wir wollen noch 20km laufen bevor wir uns drei Stunden Schlaf gönnen.
Mir schießen tausend Gedanken durch den Kopf. Sollte es am Ende wirklich möglich sein solch eine Strecke durchzustehen? Jeder Schritt gleicht einem Dampfhammer. Leichtfüßiges Laufen sieht anders aus. Endlich, Kawis Wohnwagen.Danke Markus! Eine Insel im großen Ozean. Eine Oase in einer endlosen Wüste.

Ein kurzer Check der Ausrüstung. Der Wetterbericht für die Nacht sieht nicht gut aus. Sinnflutartige Regenfälle und Sturm. Unwetterwarnung für die zweite Nachthälfte. Wenn 320 km , dann richtig. Im Schlaf zucken meine Beine, suchendem Trail, rutschen.... ich rutsche.... falleeeee..Kawi ist wach und sagt wir müssen weiter. Leichter Regen tanzt im Schein unserer Stirnlampen. Der Ausstoß meines Atems vernebelt mir die Sicht. Es geht nach oben, mal wieder. Wir treffen einen Mitläufer, Martin. Wir drei sind die nächsten Stunden zusammen.Es gießt in Strömen. Wir sind nass bis auf die Haut. Die Trails um Lykershausensind überflutet. Wasser und Schlamm suchen sich unerbittlich den Weg in das Tal. Dummerweise sind wir im Weg. Viele Menschen haben mich schon gefragt, an was man denn bei so langen Läufen denkt. Ich kann euch sagen in dieser Nacht kurz und knapp: Scheiße, Scheiße und noch mehr Scheiße.
Wir haben mit entwurzelten Bäumen und unterspülten Brücken zu kämpfen.

Km 163: Wir werden von unserem Support betreut. Peter macht einen hervorragenden Job. Danke Peter!! Wir ziehen trockene Shirts an. Es rollt den Berg runter zur Lahn. Wir fliegen wahrlich den Berg herab. "Ich bin der König der Welt", denke ich und wer zum Henker sind Leonardo und Kate?

Auf den nächsten 40 km haben wir ein Heimspiel. Der Rheinsteig geht an unserer Haustür vorbei, hunderte Male sind wir diese Abschnitte schon gelaufen.
Ein Stopp in Urbar. Hier ist unser Lauftreff. Wir werden vorbildlich versorgt. Die Wunden werden geleckt und dem Körper mehr zugeführt als industriellverpresstes Korn.
Ab diesem Punkt haben wir einige Mitläufer. Mario, Rüdiger, Rainer, Oliver und Herbert begleiten uns 20 km.
Es ist schön zu quatschen, eine willkommene Abwechslung.

Km 190: Wir nehmen eine Mütze voll Schlaf. Wir werden mit Bier und Kebab versorgt.
Kurz Ablegen, Handy klingelt, weiter, immer weiter. Kawi und ich sind noch zusammen. Es regnet nicht mehr. Und so soll es auch bleiben....aber was wissen die Wetterfrösche schon?
Wir diskutieren und entschließen uns, die letzten, verbleibenden Hundert ineinem Rutsch zu laufen. Wenn wir das tun, muss jeder sein eigenes Tempo laufen.
Sind wir dazu noch in der Lage?

In Feldkirchen trennen sich unsere Wege. Wir klatschen uns ab, umarmen unsund flüstern uns gegenseitig ins Ohr was keiner so richtig glauben mag.
"Ein Hunderter geht immer." Wir sehen uns im Ziel mein treuer Gefährte.

Die nächsten 30 km laufen gut. Die Schmerzen in den Füßen werden nicht schlimmer oder der Körper produziert genug von der eigenen Droge. Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät mir die Anzahl der Hönhenmeter. Mehr als 9000, bis jetzt.
Es könnte klappen....

Km 270: Der letzte VP in Linz, ich telefoniere mit meiner Göga. "Ich brauche noch etwas für durch die Nacht!"
Sie: "Was?"
Ich: "Nudeln, Cola, Boullion, eine stärkere Lampe und ein anderes Shirt!"
Sie: "Sonst noch was?"
Ich: "Ja, ein Satz neuer Füße, die wasserfesten."
Gelächter..... Das Gelächter weicht einer irren Grimasse.
Wo?
In Unkel!
Ok....

Bin ein Stück mit Jörg gelaufen, langsam wird es dunkel. Meine Versorgung ist da. Jörg läuft davon. Meine Familie entlässt ihren Irren eine halbe Stunde später in die dunkle Nacht. Hier erschein die letzte harte Nuss, das Siebengebirge. Hier wartet der RHEX auf mich... und das in der Nacht.
Hey, du hast 290 km in den Beinen, der RHEX darf dir keine Angst machen....Macht er aber!

Ich schiebe mich zum Auge Gottes hoch. In meinem Kopf hämmert es. Oh. Lord want you buy me a Mercedes Benz.....
Meine Blicke gehen zur Seite. Ein dutzend gelber Augenpaare starren aus dem Wald. Was mögen die dazugehörigen Kreaturen wohl denken?
"Seltsamer Vogel? Was für ein Tier ist das denn? Leichte Beute, der Typ lahmt."
Wann kommt denn die Löwenburg?

Ich habe ein Tief. Und was für eins....
Sehe wirres Zeug, schlafe im Laufen ein. Was sich jetzt abspielt, ist für mich Neuland. Die Psyche spielt mir Streiche.
Was ist, wenn ich dazu verdammt bin, die nächsten 100 Jahre im Siebengebirgeherum zu spuken? Was ist, wenn es nie wieder hell wird?
Unwahrscheinlich.... aber waren es die 320 km nicht auch noch vor zwei Tagen?

Drachenfels, der Morgen dämmert. Die letzte große Hürde, der Petersberg. Ich stürze den Berg herab. Ich fühle wie eine Träne über meine linke Wange läuftund ich weiß, dass ich es schaffe.
Die Gefühle, der letzten 15 km gehören mir.... mir ganz alleine. Auf der Kennedy Brücke habe ich mir die Frage gestellt. "Was ist noch allesmöglich?"

Es ist vollkommen klar, dass man für solch einen Lauf ein Training braucht.Es sei jedoch gesagt, dass man solch einen Wettkampf nur mit dem Herz undgroßer Leidenschaft bestreiten kann.
Wir haben den schönsten Sport der Welt, zumindest aus unserer Sicht.
Was noch kommt????.... wer weiß....

Mein Dank geht an alle Supporter, die starken Menschen hinter mir, und natürlich an Kawi, Uusi und alle anderen Läufer: Es war mir eine große Ehre!
Danke an alle die zu Hause vor den Bildschirmen mit uns gefiebert haben :-D

 

la soledat del corredor

Fraggle